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"Wir müssen noch viel offensiver die genossenschaftlichen Stärken kommunizieren."

Carsten Eisele Vorstand BWGV
BWGV

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Genossenschaften passen perfekt in unsere Zeit, findet BWGV-Vorstand Carsten Eisele. Ein Gespräch über genossenschaftliche Werte, Erfolgsfaktoren und Hausaufgaben, die noch zu erledigen sind.

Wenn von genossenschaftlichen Werten die Rede ist, sind meist die Prinzipien Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung gemeint, außerdem demokratische Mitbestimmung, Solidarität, Regionalität und Mitgliederverpflichtung. Warum ist es wichtig, darüber zu reden?

Wenn wir über genossenschaftliche Werte sprechen, sprechen wir über das, was alle Genossenschaften auf der ganzen Welt eint, worauf sie aufgebaut sind. Bei allen Unterschieden zwischen Branchen und Geschäftsmodellen folgen doch alle Genossenschaften dem Grundgedanken, Ziele gemeinsam zu erreichen. Menschen und Unternehmen tun sich zusammen, um gemeinsam etwas zu schaffen, ohne dabei die eigene Selbstständigkeit aufzugeben. Und daraus leiten sich sowohl die Struktur als auch das Tun einer Genossenschaft ab: Sie ist grundsätzlich demokratisch aufgebaut. Jedes Mitglied hat eine Stimme, unabhängig von der Höhe der Kapitalbeteiligung. Die Geschäftstätigkeit einer Genossenschaft ist komplett darauf ausgerichtet, die Interessen ihrer Mitglieder zu fördern. Diese Merkmale unterscheiden die Genossenschaft von anderen Unternehmensformen, machen sie so besonders und nachhaltig erfolgreich. 

Welche Rolle spielt diese Besonderheit für Sie als BWGV-Vorstand?

Zunächst einmal macht es natürlich einfach Freude, sich für Unternehmen einzusetzen, die auf diesen Werten aufbauen. Genossenschaften vereinen ökonomisches Wirtschaften, ökologische Umsicht und soziale Verantwortung und passen deshalb perfekt in unsere Zeit, in der die Bedeutung von Nachhaltigkeit immer größer wird. Gerade die derzeit noch nicht so im öffentlichen Fokus stehenden Bereiche der Nachhaltigkeit Soziales und Governance sind in der Rechtsform einer Genossenschaft fest verankert. Das verleiht ihr ein riesiges Potenzial. Daran mitzuwirken, dass dieses Potenzial in Wirkung gesetzt werden kann, empfinde ich persönlich als sinnstiftend – und auch vom gesamtgesellschaftlichen Nutzen bin ich zu tiefst überzeugt.

Nun sind die meisten Genossenschaften ja wie andere Unternehmen auch darauf angewiesen, an ihren Märkten zu reüssieren. Inwiefern können genossenschaftliche Werte auch zu wirtschaftlichem Erfolg beitragen?

Da ist zum einen der Förderzweck der Genossenschaften. Sie sind darauf ausgerichtet, die Interessen ihrer Mitglieder zu fördern. Und der besteht in der Regel nicht in kurzfristiger Gewinnmaximierung, sondern in langfristigem Erfolg. Zusammen mit dem Demokratieprinzip verleiht das der eingetragenen Genossenschaft eine große Stabilität und Krisenfestigkeit. Das hat sich nicht zuletzt in der Finanzkrise 2008/2009 gezeigt. Gleichzeitig ist die Unternehmensform sehr flexibel: Mit den genossenschaftlichen Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung lassen sich Modelle für sehr viele ganz aktuelle Herausforderungen entwickeln, die uns wirtschaftlich und gesellschaftlich umtreiben. Vor 170 Jahren waren es einerseits die wirtschaftliche Not auf dem Land und andererseits der Mangel an Kreditmöglichkeiten für Handwerker, die zum Initialzünder für genossenschaftliche Zusammenarbeit im Sinne der Selbsthilfe wurden. Heute ist es der dringende Bedarf an hausärztlicher Versorgung, an neuen Wohn- und Lebenskonzepten oder an regenerativer Energieversorgung, der vermehrt zu Neugründungen führt. Oder nehmen Sie die Problematik der Unternehmensnachfolge, die uns in den kommenden Jahren noch massiver treffen wird: Hier bieten genossenschaftliche Modelle ganz neue Möglichkeiten. Auch bei der Weiterentwicklung neuer Technologien oder der gemeinsamen Nutzung von Daten bietet ein genossenschaftlicher Rahmen neue Chancen, gerade für Mittelständler. Gemeinsam von geteilten Daten und Know-how profitieren und dabei selbstständig bleiben lautet hier die Devise. Es ist wirklich spannend zu sehen, wie vielfältig und innovativ unsere Mitglieder sind. All diese Beispiele zeigen, dass aus den Prinzipien Selbsthilfe und Mitgliedschaft Stärken in ganz unterschiedlichen Bereichen erwachsen können und dass eine eingetragene Genossenschaft der perfekte Rahmen sein kann, um innovative Geschäftsmodelle umzusetzen. Und dann können die Werte, auf denen Genossenschaften aufbauen, natürlich auch ganz bewusst kommuniziert werden: So wird das Mitglied einer Energiegenossenschaft zum Teil der Energiewende, dem Volksbankmitglied gehört ein kleiner Teil seiner regionalen Bank – und nicht etwa anonymen Investoren, die weit weg sind. Das ist identitätsstiftend und kann am Markt, auch am Arbeitsmarkt, den entscheidenden Unterschied machen. 

Jungen Menschen wird ja eine große Affinität zu Werten nachgesagt, wie Genossenschaften sie verkörpern. Müssten Genossenschaften nicht gerade bei ihnen total angesagt sein?

In der Tat sprechen besonders die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit und das Thema Partizipation viele junge Leute an. Häufig stellen sie aber zwischen diesen Aspekten und dem Genossenschaftswesen keine Verbindung her. Ich habe das Gefühl, der deutsche Begriff „Genossenschaft“ ist gerade für jüngere Menschen nicht besonders attraktiv. Dabei spielt sicherlich eine Rolle, dass er in unserem Sprachraum nicht nur für die Rechts- und Unternehmensform verwendet wird, sondern auch eine politische Bedeutung hat, also immer mehrdeutig ist. Das können wir nicht ändern. Wir sollten uns aber immer wieder bewusst machen, dass das, was für uns als Verband und für unsere Genossenschaften selbstverständlich ist, anderen nicht so klar und bekannt ist. Wir müssen alle noch viel offensiver die genossenschaftlichen Stärken kommunizieren. Aber auch klarstellen, dass die eG nicht für jeden Geschäftszweck die optimale Rechtsform ist. Bei Neugründungen sollte die Rechtsform der Genossenschaft aber zumindest in die Überlegungen mit einbezogen werden. Das passiert allerdings vielfach nicht. Da müssen wir noch stärker aktiv werden, auch an Schulen und Universitäten. 

Rund 740 Genossenschaften in mehr als 50 Branchen bedeuten 740 Möglichkeiten, die genossenschaftlichen Werte zu leben. Welche haben Sie in letzter Zeit besonders beeindruckt? 

Eine einzelne Genossenschaft hervorzuheben würde den anderen Mitgliedern nicht gerecht werden. Aber da gibt es einige. Was mich immer besonders begeistert, ist die Vielfalt unserer Genossenschaften, egal, ob ländlich, gewerblich oder Bank. Jede hat ihre Besonderheiten und oftmals auch eine eigene Kultur. 

Diese Vielfalt werden wir im Jahr 2025 wieder stärker in der Öffentlichkeit präsentieren. Unter der Schirmherrschaft unseres Ministerpräsidenten und bekennenden Genossenschaftsfans Winfried Kretschmann werden wir das Baden-Württembergische Jahr der Genossenschaften feiern. Unabhängig davon sehen wir als Verband der Genossenschaften in Baden-Württemberg unsere Aufgabe darin, unsere Mitglieder und Neugründer bestmöglich zu unterstützen und stärker untereinander zu vernetzen. Aus diesem Grund entwickeln wir auch unser Beratungs- und Bildungsangebot ständig weiter, um passgenaue Lösungen anbieten zu können.

Potenzialfelder für Genossenschaften 

Die Betätigungsfelder von Genossenschaften haben sich in den vergangenen 15 Jahren deutlich erweitert. Teils waren gesetzliche Änderungen Treiber für neue genossenschaftliche Ideen, aber auch der gesellschaftliche Wandel hatte großen Einfluss auf das Gründungsgeschehen. Bürgergenossenschaften etwa entstehen häufig dann, wenn öffentliche Strukturen noch nicht, nicht mehr oder nicht in der gewünschten Qualität zur Verfügung stehen. Im Positionspapier  „Genossenschaftliche Potenziale für Baden-Württemberg“ zeigt die Interessenvertretung des BWGV auf, in welchen Branchen und Geschäftsfeldern besonderes Potenzial für Genossenschaften steckt. Behandelt werden unter anderem die Bereiche Handel, Dienstleistungen, Unternehmensnachfolge, Energiewirtschaft,  Quartiersentwicklung und Gesundheitsversorgung.

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